Von Edda Grabar
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      In der Universitätsstadt Tübingen sitzt ein kleines Unternehmen, um das
      schon bald Pharmakonzerne buhlen und balzen könnten: CureVac entwickelt
      derzeit ein Verfahren, das Impfungen nicht mehr nur als Schutz, sondern
      auch als Behandlungsmethode möglich machen soll. Das Ziel ist
      hochgesteckt: „Derzeit testen wir unsere Entwicklung vor allem gegen
      Krebs“, sagt Geschäftsführer Thomas Lander.
    
      Impfungen sind seit je her eine begehrte Ware. Ein kleiner Pieks in die
      Haut schützt den Mensch vor Grippe, Leberentzündung, Kinderlähmung,
      Masern und vielen anderen Erkrankungen. Je nach Serum für ein Jahr, in
      manchen Fällen sogar ein Jahrzehnt. Das Prinzip ist denkbar einfach:
      Impfungen wirken nicht selber gegen einen Erreger oder eine Krankheit,
      sie stoßen lediglich das Immunsystem an. Den Kampf gegen Influenza,
      Pestkeim oder Papillomavirus übernimmt der Körper dann selbst. Seit
      Jahrzehnten suchen die Forscher von Arzneiriesen wie Sanofi-Aventis,
      Glaxo-Smith-Klein, Novartis nach den molekularen Stellschrauben, die die
      Abwehrkraft gezielt gegen Volksleiden richten. Eine Impfung gegen Krebs
      verspräche einen Geldregen. Doch der rechte Erfolg blieb Big Pharma
      bislang versagt. Denn Krebs entzieht sich dem Immunsystem, obwohl dieses
      den tödlichen Gegner zunächst erkennt. Doch der Tumor wehrt die Angriffe
      solange ab, bis es ihn als Bestandteil des Körpers wahrnimmt.
    
      Dieser Sprung soll nun einem kleinen Biotech-Unternehmen gelungen sein?
      Die Entwicklung, von der Lander spricht, ist so einzigartig, dass es
      „kaum andere Wissenschaftler gibt, die sich damit beschäftigen“,
      bestätigt auch Biotech-Experte Ludger Weß von der Beratungsfirma
      Akampion. Mehr noch: Der Theorie zufolge sollte sie sogar zum Scheitern
      verurteilt sein. Die CureVac-Forscher versuchen nämlich erst gar nicht,
      das Immunsystem mit Eiweißen zu stimulieren – wie so viele andere. Sie
      nutzen deren Vorboten, die so genannte messenger Ribonucleinsäure
      (mRNA). Sie übermittelt die Information, die im Erbgut steckt, an die
      Maschinerie der Zelle, die sie umsetzt. Wenn etwa das zuckersenkende
      Insulin benötigt wird, wird das entsprechende Gen abgelesen und die
      zugehörige mRNA mit der Information für Insulin erstellt. Die
      transportiert dann die Information an die Stelle, die das Insulin
      tatsächlich herstellen kann. Das System stellt sicher, dass das Erbgut
      in Form von DNA den schützenden Zellkern nie verlassen muss.
    
      „Auf der anderen Seite wird die mRNA, sobald sie ihre Tat verrichtet
      hat, wieder abgebaut“, erklärt Lander. Überall in der Zelle und im Blut
      lauern Enzyme, die sie in Einzelteile zerschneiden. Eine Tatsache, die
      Wissenschaftler davon abgehalten hat, den Botenstoff als mögliche
      Therapieform in Betracht zu ziehen. Doch Ingmar Hörr, Geschäftsführer,
      Initiator und Gründer von CureVac, entdeckte während seiner Doktorarbeit
      an der Uni Tübingen ein erstaunliches Phänomen. Unter seinem Mentor
      Hans-Georg Rammensee spritzte er mRNA in Mäuse – und stellte fest, dass
      sich das Immunsystem stimulieren ließ. Welche Gedankenachterbahnen in
      dieser Zeit durch seinen Kopf gerattert sein müssen, lässt sich nur
      erahnen: Schließlich machte das Ergebnis deutlich, dass es gar nicht
      notwendig ist, Eiweiße herzustellen und schließlich dem Patienten zu
      spritzen, um das Abwehrsystem auf Touren zu bringen.
    
      Die Vorstufe in Form eines Botenmoleküls reicht offenbar vollkommen aus.
      Alles andere übernimmt – wieder einmal – der Körper selbst. In
      präklinischen Modellen konnten die Wissenschaftler von CureVac
      inzwischen feststellen, dass nicht nur das Eiweiß formgerecht produziert
      wird und die Körperabwehr stimuliert. „Das Immunsystem sucht sich auch
      selbst die richtigen Bestandteile aus, die für einen effektive Attacke
      gegen den Tumor notwendig sind“, so Florian von der Mülbe, Leiter der
      Herstellung bei CureVac. Die mRNA könne scheinbar die Abwehr trainieren,
      gegen die Eiweiße vorzugehen, für die sie die genetische Information
      enthält. Sie wird ganz von den so genannten dendritischen Zellen, den
      Lehrern des Immunsystems, aufgenommen.
    
      Von der Mülbe gehört zu den Kollegen, die Hörr damals um sich scharrte,
      um sein Projekt umzusetzen. „Das war damals eine spannende Zeit“,
      erinnert er sich. Die Geburtsstunde von CureVac im Jahr 2000 fiel mitten
      in die geplatzte Börsenblase. „Da war es zunächst einmal schwierig,
      andere von unserer Idee zu überzeugen“, weiß von der Mülbe. So setzten
      sich die „jungen Leute“, wie Rammensee die kleine CureVac-Gruppe von
      damals väterlich nennt, zusammen und schrieben Anträge um Anträge.
      „Während andere die ersten Berufserfahrungen machen, setzten Hörr und
      von der Mülbe auf ihre Promotion noch einen Master of Buisness
      Administration (MBA) drauf und gründeten CureVac“, sagt ihr einstiger
      Begleiter Rammensee noch nachträglich beeindruckt. Das
      Baden-Württembergische Förderprogramm für „Junge Innovatoren“
      ermöglichte ihnen, nach dem Inkubatorprinzip an der Uni für die Firma zu
      forschen.
    
      Um neben der Forschung bereits selbst Geld einzunehmen, fuhren die
      frischgebackenen Unternehmer zweigleisig: „Wir stellten für andere
      Unternehmen und Universitäten RNA her“, erzählt von der Mülbe. Das
      eingenommene Geld reichte zwar nicht, um ein Unternehmen aufzubauen.
      Doch das was sie dabei im Umgang mit ihren Kunden, deren Ansprüchen und
      damit auch über die Verbesserung ihres Verfahren lernten, „ist mit Geld
      nicht zu bezahlen“, so von der Mülbe. Inzwischen aber hat sich das
      einmalige Verfahren der Tübinger herumgesprochen – bis hin zu
      SAP-Gründer Dietmar Hopp, der das Unternehmen im letzten Jahr mit 25
      Millionen Euro unterstützte.
    
      So ist CureVac auf dem besten Weg, seine mRNA, das „RNActive“, zu einem
      marktreifen Produkt zu entwickeln. Erste Versuche, die auf ihrem Konzept
      basieren, setzte die Uniklinik Tübingen bereits um. Patienten mit
      metastasierendem Hautkrebs wurden ihre eigenen Botenstoffe aus dem Tumor
      gespritzt, von denen die Wissenschaftler wussten, dass sie vom
      Immunsystem erkannt werden. „Diese Studie wurde unabhängig von CureVac
      durchgeführt“, sagt Geschäftsführer Thomas Lander. Die Patientengruppe
      sei auch viel zu klein gewesen, um aussagekräftige Ergebnisse zu
      hervorzubringen. „Was allenfalls abgeleitet werden kann, ist, dass RNA
      gut verträglich zu sein scheint und keine schwerwiegende Nebenwirkungen
      verursacht“, so Lander. Zudem hätte sie bei einigen Patienten
      tatsächlich das Abwehrsystem stimuliert. „Um jedoch klinische Aussagen
      machen zu können, sind unbedingt weitere Studien nötig“, fordert er.
    
      Heute setzen die Tübinger nicht mehr auf die persönlichen Botenstoffe,
      sondern haben einen Cocktail aus mRNA zusammengestellt, von dem sie
      wissen, dass die dazu gehörigen Eiweiße das Immunsystem anregen. Mit ein
      paar kleinen Veränderungen erreichten sie, dass die labilen Botenstoffe
      nun bis zu vier Wochen im Körper verbleiben, ohne abgebaut zu werden.
      „Der Vorteil der mRNA ist, dass sie weder Rückstände verursacht noch wie
      etwa Gentherapien bleibende Veränderungen im Erbgut auslöst“, sagt
      Lander. Schon im Herbst soll RNActive den ersten Patienten verabreicht
      werden. Allerdings werden wohl auch sie nicht große Tumore bekämpfen
      können. „Aber es wäre ja schon viel versprechend, wenn wir die
      Ausbreitung verhindern könnten“; sagt Florian von der Mülbe.
    
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 Wäre toll, wenn das klappt