http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1176130313744.shtml
VON ALIKI NASSOUFIS, 09.05.07, 21:56h
Muskatnuss, Bilsenkraut, Stechapfel oder bestimmte Pilze: Sogenannte
Biodrogen halten viele für einen harmlosen Partyspaß. Um sich zu
berauschen, trocknen und essen sie die Pflanzen, schnippeln sie in den
Salat oder kochen einen Tee daraus. „Das große Problem der Biodrogen
ist, dass sie oft nicht verboten sind und deswegen harmlos erscheinen“,
sagt die Medizinerin Gisela Dahl aus Stuttgart, die lange den
Suchtausschuss der Landesärztekammer Baden-Württemberg geleitet hat und
nun Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes ist.
Tatsächlich fallen nur die wenigsten Biodrogen unter das
Betäubungsmittelgesetz – sie sind also legal. Zudem sind sie übers
Internet leicht zu haben, bestimmte Pilze finden sich oft im nahen Wald,
Gewürze wie Muskatnuss stehen griffbereit in Muttes Küchenregal, und
Blumen wie Engelstrompeten oder gewisse Kakteen, aus denen sich
Berauschendes herstellen lässt, gibts in jedem Gartencenter.
Tatsächlich sind die angeblich ungefährlichen Pflanzen alles andere als
harmlos: Für den Trip ins Wunderland gehen viele teils hohe psychische
und körperliche Risiken ein, warnt die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln. Zum einen sei der
„Rauschverlauf“ stark von der Person und ihren Erwartungen abhängig:
Nicht immer wird die Stimmung durch Halluzinogene euphorisch. „Sie kann
auch in Panik und Entsetzen kippen, da die Erlebnisse Angst hervorrufen
können“, heißt es. „Aus dem Rausch wird dann ein Horror-Trip.“
Im Rausch kommt es obendrein regelmäßig zu lebensgefährlichen
Handlungen: Jugendliche verletzen sich mit Messern oder Scheren, oder
sie steigen durchs Fenster aus ihrem Zimmer. Immer wieder berichten
Medien über junge Leute, die berauscht vor einen Zug oder in einen See
springen und dabei den Tod finden.
Irgendwann kommt
der Griff zu Härterem
Darüber hinaus ist immer noch unklar, ob die pflanzlichen Halluzinogene
nicht auch abhängig machen können. „Klar ist aber, dass die Hemmschwelle
zum Drogengebrauch gesunken ist – rund zwei Drittel der Nutzer taucht
irgendwann in die härtere Drogenszene ab“, sagt Dahl.
Einige der Biodrogen können zu schweren Vergiftungen führen. Vor allem
Nachtschattengewächse wie Stechapfel, Bilsenkraut oder Tollkirsche
fördern Angstzustände und führen im Extremfall zur tödlichen
Atemlähmung. „Die ungenaue Kenntnis über Dosierung und Anwendung ist ein
besonderes Problem“, sagt Hans-Jürgen Haak von der
Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung Nordrhein-Westfalen in
Mülheim / Ruhr.
Diese Informationen würden meist durch Mundpropaganda weitergegeben.
„Das Prinzip der Stillen Post birgt aber ein großes Gefahrenpotenzial.“
Viele ignorieren diese Risiken. Vor allem online forschen sie nach Tipps
zur Zucht, Dosierung und Einnahme der Drogen.
Auch ein User namens Stef gibt in einem Forum seine Erfahrungen weiter
und erzählt euphorisch von seiner „Reise ins Regenbogenland“ – bei der
er sich allerdings nicht nur übergeben musste, sondern auch noch einige
Zeit später gegen die Wirkung der Drogen anzukämpfen hatte: „Ich
brauchte ganze zwei Tage, um mich wieder zurückzuerinnern“, schreibt er.
Trotzdem verteidigen die Nutzer ihre Biodrogen: So berufen sich die
selbst ernannten Experten unter anderem auf die lange Tradition biogener
Drogen. Angeblich soll selbst die im Gletscher gefundene Mumie von
„Ötzi“ eine Auswahl getrockneter Pilze bei sich gehabt haben. Auch in
Ländern Südamerikas oder im Orient sind bewusstseinsverändernde Pflanzen
bekannt. So genannte Zauberpilze etwa waren einst Teil spiritueller
Rituale und sind auch heute noch weit verbreitet.
„Der Unterschied ist jedoch, dass die Menschen in diesen Ländern ein
ganz genaues Wissen über die Wirkung und die richtige Dosierung dieser
Drogen haben“, sagt Dahl. „Außerdem haben die Halluzinogene dort einen
völlig anderen Stellenwert, der mit dem in unserer Gesellschaft
überhaupt nicht vergleichbar ist.“ Im Orient oder in Lateinamerika
würden Biodrogen kontrolliert und in Gesellschaft eingenommen.
Jugendliche in Deutschland benutzten die Pflanzen dagegen für eine
Flucht aus dem Alltag.
Das ist eine weitere Gefahr der Bio-Drogen: Wie alle anderen
Rauschmittel ermöglichen sie ein Leben in einer idealisierten
Parallelwelt, die mit der Realität nichts zu tun hat. Auf der Strecke
bleibt nach Worten von Gisela Dahl, den Umgang mit Konflikten zu lernen
und schmerzhafte Ereignisse durchzustehen. „Aber das gehört zum Leben
dazu: Konflikten nicht durch einen Rausch zu entfliehen, sondern sie
langfristig auszuhalten und positiv zu nutzen.“