Auf einer längeren Weltraumreise steht nur wenig so zuverlässig zur
Verfügung wie die kosmische Strahlung- selbst wenn, etwa auf Neptun-
oder Pluto-Ebene, die Sonne zu einem kleinen Lichtfleck geschrumpft ist.
Mit ausgerechnet in Tschernobyl neu entdeckten Pilzarten könnten
Astronauten sich die Strahlung zunutze machen.
Als Arturo Casadevall vor Jahren davon las, dass von Robotern
extrahierte Proben aus dem Inneren des über dem havarierten Reaktors von
Tschernobyl errichteten Sarkophags eine reichhaltige Pilzflora [extern]
zeigten, weckte dies das Interesse des Mikrobiologen. Immerhin 37
Pilzarten hatten sich dort auf den Wänden angesiedelt und erfreuten sich
gesundesten Wachstums. Dabei handelt es sich nicht um ungewöhnliche
Arten – ganz gewöhnliche Schimmelpilze wie [extern] Aspergillus
versicolor bestimmten das Bild.
Allerdings war eine Besonderheit zu beobachten: Je stärker die
radioaktive Strahlung war, welche die die Pilze beeinflusste, desto
höher erwies sich der Anteil von Melanin in der Biomasse. Das Pigment,
das unter anderem die unterschiedliche Färbung der menschlichen Haut
verursacht, wird bei Pilzen unter anderem als Antioxidans angesehen, das
die schädliche Wirkung von Oxidationsprozessen verhindert.
Den Zellen der Melanin enthaltenden Pilzart
Cladosporium sphaerospermum entzogen die Forscher im Versuch nach und
nach jede Nahrung – und trotzdem stellten sie unter dem Einfluss
ionisierender Strahlung weiterhin Melanin her. (Foto: Yeshiva University)
Für Casadevall, der am Albert-Einstein-College für Medizin der Yeshiva
University in New York die mikrobiologische Abteilung leitet, waren die
Beobachtungen aus Tschernobyl der Anlass, den Einfluss von
Radioaktivität auf Pilze genauer zu untersuchen.
Mit interessanten Ergebnissen, die das Forscherteam um Casadevall jetzt
in der Public Library of Science (PloS) der US-Akademie der
Wissenschaften veröffentlichte. Die Entdeckung der Forscher: Pilze
können nicht nur organische Stoffe in ihre Bestandteile zerlegen – was
man bisher als ihre Hauptfunktion ansah. Sie sind auch in der Lage, eine
ähnliche Funktion wie Pflanzen zu übernehmen und aus anorganischen
Stoffen Biomasse zu erzeugen.
Der Prozess dazu entspricht anscheinend der Photosynthese bei Pflanzen.
Nur basiert er nicht auf dem grünen Chlorophyll, sondern auf Melanin –
und er nutzt nicht Licht, sondern ionisierende Strahlung. Diese These
testeten die Wissenschaftler in Laborexperimenten an drei verschiedenen
Pilz-Spezies. Bei jeder dieser Arten zeigte sich, dass radioaktive
Strahlung das Zellwachstum anregte – und zwar genau dann, wenn die
Zellen Melanin enthielten. Das Pigment wirkt offenbar nicht nur als
Schutz. Das betraf sowohl Pilzarten, die künstlich zur Melaninproduktion
angeregt wurden, als auch solche, die bereits natürlicherweise Melanin
enthielten.
Den kompletten Prozess, wie Melanin Energie der radioaktiven Strahlung
umwandeln könnte, haben die Wissenschaftler noch nicht verstanden.
Immerhin konnten sie aber schon den ersten Schritt dazu nachweisen: Dass
ionisierende Strahlung die Elektronenstruktur des Pigments ändert. Das
ist eine notwendige Voraussetzung für die Energieumwandlung – jedoch
noch nicht ihr endgültiger Beweis. Weil das Melanin in den Pilzzellen
dem in der menschlichen Haut chemisch gleicht, lässt sich Studienautor
Casadevall gar zu der Spekulation hinreißen, dass das Pigment auch
unsere Haut mit Energie versorgt:
_____________
Nicht genug, um damit einen Strandlauf durchzuhalten,
aber ausreichend, um das Augenlid zu heben.
Davon abgesehen, dass Melanin enthaltende Pilze Astronauten als
Nahrungsquelle dienen könnten (natürlich nicht direkt – die meisten der
betrachteten Pilzarten sind eher schädlich), ergibt sich noch eine
weitere spannende Konsequenz: Sollte es sich um ein weit verbreitetes
Phänomen handeln, müsste man den Energiehaushalt der Erde überdenken.
Denn, so Casadevall, "das Reich der Pilze ist weit größer als jedes
Pflanzen- oder Tierreich".
Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25336/1.html